Zwischen Kung-Fu und Blitzschach

Ein Besuch beim Smash Ball Cup 2019 in Amsterdam

Unterschiedlicher könnten die Welten kaum sein. Auf den Straßen des Amsterdamer Amüsierviertels ziehen bierselige Männergruppen durch die engen Gassen. Die Teilnehmerinnen eines Junggesellinnenabschieds verteilen im Biene-Maja-Kostüm Fläschchen mit Alkopops. In der „Beurs van Berlage“ direkt nebenan ist derweil höchste Konzentration angesagt. Alkohol ist hier tabu. Auf der an einen Boxring erinnernden Bühne in der Mitte sitzen sich zwei Mannschaften in Dreierteams gegenüber. Sie sehen einander nicht, nur das Geschehen auf den Bildschirmen. Was dort passiert, ist für ungeübte Augen schwer zu erfassen. Knallbunte Fantasiegeschöpfe wirbeln über schwebende Landschaftsfragmente, wilde Attacken und grelle Effekte jagen sich im Millisekundentakt.

Bis zu 800 Menschen passen in die Halle des im 19. Jahrhundert erbauten klassizistischen Gebäudes, das einst die Amsterdamer Börse beheimatete. Von einer Empore schaut eine Statue des Götterboten Merkur herab. Er sieht ein bisschen so aus, als wolle er sich gleich selbst ins Geschehen stürzen. Dort unten wird gerade das Finale des „Super Smash Bros. Ultimate European Smash Ball Team Cup 2019“ ausgetragen. Die Veranstaltung mit dem sperrigen Namen ist das erste europaweit ausgetragene „Super Smash Bros.“-Turnier. Smash… was?

In dem seit zwei Jahrzehnten beliebten Videospiel versuchen 75 wild zusammengewürfelte Gamecharaktere wie Super Mario oder Prinzessin Peach sich gegenseitig von einer in der Luft schwebenden Plattform zu befördern. Das Ganze wirkt ein bisschen wie ein digitaler Mix aus Kung-Fu, Bodenturnen und Blitzschach. Menschen über 35 dröhnt da schnell der Kopf. Wer jedoch meint, das alles sei nur Kinderkram, hat noch nie eine Runde gegen einen geübten „Smasher“, wie sich die Fans selbst nennen, bestritten. Die meisten sind männlich, beim Turnier sind ausschließlich Jungs am Start. Auf die Frage, warum es mit Ausnahme einiger Zuschauerinnen sowie der blonden Ansagerin, die sich „Tech Girl“ nennt, keine weibliche Beteiligung gibt, erntet man Schulterzucken. Es gebe schon talentierte Smasherinnen. Aber vielleicht würden weibliche Spieler das Hobby nicht ernst genug nehmen, um dafür so weit zu reisen.

Die Software ist unbestechlich

Nicht nur in ihren Matches, sondern auch in den Interviews und Pressekonferenzen rund um das Event treten einige der jugendlichen E-Sportler ziemlich profimäßig auf. Während sich mancher im Scheinwerferlicht noch sichtlich unwohl fühlt, gehen etwa dem deutschen „Team Ehre“ Sätze wie „Wir haben großen Respekt vor Frankreich als nächstem Gegner“ oder „Wir haben nichts zu verlieren und können der Welt zeigen, was wir draufhaben“ schon recht locker von den Lippen. Im Unterschied zu Sportveranstaltungen ohne den Zusatz „E“ für „Elektronik“ bleiben Imponiergehabe und Lamentos über unfaire Schiedsrichterentscheidungen aber aus. Beschwerden würden auch nicht viel bringen, denn die Software ist unbestechlich und lässt grundsätzlich nicht mit sich reden.

Fiese Tricks hat zwar jede der Spielfiguren im Repertoire. Doch die Spezialangriffe von Inkling, Lucario  oder King Dedede, allesamt Charaktere, die man von den Spielkonsolen von Nintendo kennt, sind Teil des höchst anspruchsvollen Regelwerks. Das augenscheinlich fachkundige Publikum schaut gebannt auf die riesigen Bildschirme, die über der Arena aufgehängt sind. Nach jeder gelungenen Angriffsserie, Kombo genannt, brandet lautstarker Beifall auf. Steht eine Entscheidung kurz bevor, flattern Banner durch die Luft, die Spieler werden von Sprechchören angefeuert. Zwei Moderatoren kommentieren live und setzen so auch die mitunter etwas verständnislos lächelnden Eltern ins Bild, die einige der jüngeren Zuschauer begleiteten.

Alleiniger Veranstalter des „Smash Ball Cup“ ist der japanische Gameskonzern Nintendo, andere Sponsoren gibt es nicht. Die Investition lohnt sich, denn praktischerweise werben Donkey Kong oder Oberbösewicht Bowser für sich selbst beziehungsweise für die Spiele, die ihre Namen tragen. 14 Kameras erfassen das Ereignis in Echtzeit, für jede der gängigen europäischen Sprachen gibt es – neben den Sprechern in der Halle – ein eigenes Kommentatoren-Duo. Die Säulengänge sind vollgestopft mit Technik. Dicke Kabelbündel überziehen den Boden, die vielen Monitore leuchten im Wettstreit mit den bunten Glasfenstern. Im klassischen Fernsehen gibt es die Veranstaltung jedoch nicht zu sehen. Der Zielgruppe entsprechend wird alles über Internetplattformen wie Youtube oder Twitch gestreamt und auf PC-Bildschirmen und Handydisplays verfolgt.

Eine Arena im Spiel (Foto: Nintendo)

Das Wichtigste ist die „Community“

Der „Smash Ball Cup“ ist nicht nur ein Treffen von Videospielfans, sondern auch von jungen Europäern. Elf Mannschaften aus Großbritannien und Irland, Frankreich, Deutschland, Spanien, Portugal, Italien, den Niederlanden, Belgien, Österreich, der Schweiz sowie einem nordischen Team sind als Sieger nationaler Ausscheidungen nach Amsterdam gereist. Die Russen mussten wegen Visaproblemen absagen. Das vorwiegend niederländische Publikum geht lebhaft, aber stets fair mit – auch nachdem das eigene Team relativ früh gegen die favorisierten Franzosen ausgeschieden ist.

Die einträchtige Stimmung hängt auch damit zusammen, dass die Smasher eine eingeschworene Gemeinde sind. Die „Community“ trifft sich in Internetforen wie Smashlabs.de oder Smashboards.com. Es ist eine Parallelgesellschaft, in der jeder nur unter seinem Kampfnamen wie Sixmillion, Ferrero oder DuckOfBlubber unterwegs ist. „Die Community ist das, was den Reiz des Spieles und eines solchen Wettbewerbs ausmacht“, erklären PG, MilkTeé und Snorchef vom Schweizer Team „Smashed Potatoes“ geduldig nach der erfolgreich absolvierten Vorrunde. Auch Smash-Bros-Fan Tim schätzt, „dass man zusammen mit Freunden spielen kann – ob lokal oder online, mit echten Freunden oder reinen Internetbekanntschaften.“ Mit seinen 16 Jahren ist er selbst im besten Smasher-Alter. Denn spätestens ab 25 lässt die Kopf-Hand-Koordination merklich nach.

Dramatisches Finale zwischen Deutschland und Frankreich

Den Gegner im richtigen Moment an seinem schwächsten Punkt zu treffen oder den namensgebenden Smash-Ball zu aktivieren, um einen übermächtigen Ultra-Smash zu entfesseln und ein verloren geglaubtes Match zu entscheiden, erfordert Taktik, Timing und Psychologie. Und Übung natürlich. Drei Stunden täglich trainieren die Spieler vor Turnieren. Als sportliche Disziplin will der Deutsche Olympische Sportbund den E-Sport aber nicht anerkennen. Was fehle, sei die „eigenmotorische Leistung“. Die Finger können damit nicht gemeint sein, denn die bearbeiten mit beeindruckendem Tempo und hoher Präzision die Controller. Und ist es Zufall, dass jene Teams, die beim „Smash Ball Cup“ am weitesten gekommen sind, die die körperlich am besten trainiert wirkenden Mitglieder hatten? „Es ist auf jeden Fall ein großer Vorteil, fit zu sein“, sagt RobinGG vom deutschen Team, „denn dann wird man in einem stundelangen Wettkampf nicht so schnell müde und hält länger durch.“

Eben diese Kondition ist gefragt, als das deutsche Team – bestehend aus RobinGG, Light, Sirjon und Ersatzspieler Thunda –  gegen die hoch favorisierten Franzosen ins Finale geht. Im Reglement ist vorgesehen, dass am Anfang 2-gegen-2-Matches stehen. Danach müssen die Teams ihre Spieler einzeln ins Match schicken. Als Sirjon das erste davon beim Stand von 2:1 für Deutschland heimfährt, wirken die Franzosen ratlos und angeschlagen. Danach geht es hin und her, mal hat die eine Seite die Nase vorn, mal die andere. Nervenstärke wird zum entscheidenden Faktor.

Endstation Los Angeles

Am Ende gehen wegen der Regel, dass die Charaktere aus den vorigen Kämpfen nicht mehr eingesetzt werden dürfen, auch noch die Optionen aus. Jeder Spieler hat seine bevorzugte Spielfigur und ein paar Alternativen. Alle kann man nicht beherrschen. Im letzten und entscheidenden Match tritt RobinGG mit dem „WiiFit Trainer“ an. Ein Überraschungscoup, denn die Figur gilt eher als schräger Einfall der Spielentwickler. „Ich hatte schon vorher so eine Situation im Hinterkopf“, erzählt er später. „Also habe ich immer mal wieder mit dem WiiFit Trainer trainiert, den kaum jemand auf der Rechnung hat.“

rbt

Der Lohn all der Mühen ist eine Reise zur Weltmeisterschaft in Los Angeles. Leider endet dort auch der Siegeszug der deutschen Smasher. Immerhin schaffen es Kapitän Light und seine Mannschaft noch bis ins Finale gegen Japan. Dann schlägt die große Stunde eines japanischer Spielers namens Konbu. Der vergrößert im entscheidenden Moment seinen „Mii-Schwerkämpfer“ mit einem aus den Super-Mario-Spielen bekannten Superpilz und fegt Sirjon aus der Arena. Für die Verfechter des traditionellen Sports mögen sich solche Sätze skurril anhören. Die Parallelen sind dennoch unübersehbar. Mag die Teamleistung auch noch so hoch einzuschätzen sein, am Ende machen die großen Ausnahmetalente das Rennen unter sich aus. Und die Zukunft gehört der Jugend. Konbu, den viele nun für den besten Smasher der Welt halten, ist gerade einmal 17 Jahre alt.

Erschienen am 19. Juni im Kölner Stadt-Anzeiger; Fotos: Steffen Haubner

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